In Deutschland wird die Idee der sozialen Marktwirtschaft verfolgt. Der Markt soll durch einen gesunden Wettbewerb Innovationen begünstigen und Gewinne ermöglichen. Die Besteuerung Letzterer soll dafür genutzt werden, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Soweit die schön klingende Theorie. Der dahinter liegende Neoliberalismus, der von vielen Wirtschaftsvertretern unterstützt und politisch oft umgesetzt wurde, möchte eine möglichst freiheitliche, marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung mit Gestaltungsmerkmalen wie privatem Eigentum an Produktionsmitteln, freie Preisbildung, Wettbewerbs- und Gewerbefreiheit. Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft sind möglich, sollen aber auf ein Minimum beschränkt werden. (vgl. https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20176/neoliberalismus)

In einem frei agierenden Markt herrscht ein starker Wettbewerb und damit ein entsprechender Leistungsdruck. Darwins „survival of the fittest“ wird oft fehlgedeutet als „nur der Stärkste überlebt“ und steht für die Grundüberzeugung des modernen Wirtschaftssystems, auch international. Darum sehen wir uns auch als Volkswirtschaft ständig unter Druck, international mitzuhalten und weiter zu wachsen. Die viel bedeutendere Idee der Kooperation und Zusammenarbeit wird sowohl betriebswirtschaftlich als auch volkswirtschaftlich stark vernachlässigt.

Das Bildungssystem in Deutschland ist dementsprechend eine Ausbildung von Einzelkämpfern. Für Leistungserhebungen ist es wichtig, dass jeder Schüler seine individuelle Note bekommt. Mit der Benotung von Team- und Gruppenarbeiten tut sich das Schulsystem schwer, deswegen werden sie auch kaum zur Notenbildung eingesetzt. Um den pädagogischen Anstrich zu gewährleisten, findet dafür häufig die Erarbeitung der fachlichen Inhalte in einer Gruppenarbeit statt. Diese wird aber nicht oder nur sehr gering gewichtet bewertet.

Noch schwerwiegender lastet auf dem Bildungssystem aber die grundsätzliche Ausrichtung auf die Leistungsorientierung. Das große Missverständnis der Wirtschaft, man würde unter Druck bessere Leistungen erbringen, setzt sich in der Schule fort. Dabei sollte inzwischen durch viele pädagogische, psychologische und neurobiologische Erkenntnisse klar sein, dass Leistungsdruck und der daraus folgende Stress Gift für eine kreative und gute Arbeitsleistung und einen erfolgreichen Lernprozess sind.

Im Schulsystem subsumieren sich alle ideologischen Defizite des Wirtschaftssystems und münden in einer gleichgetakteten Wissensvermittlung, in möglichst homogenen Schülergruppen, mit Inhalten von einem von außen übergestülpten Lehrplan, der durch extrinsische Motivation in Form von Leistungserhebungen und deren Noten und der möglichen Konsequenz, bei einem Nichterreichen des Klassenziels die Jahrgangsstufe wiederholen zu müssen, durchgesetzt wird. Der Lehrer soll möglichst neutral und daher distanziert bleiben, da die Leistungsbeurteilung das wichtigste Gut der schulischen Bildung darstellt und deren Qualität gewährleistet werden muss.

Mit einer zeitgemäßen Bildung mit menschlichen Lehrpersonen und der echten Förderung von sinnvollen und brauchbaren Fähigkeiten und Kompetenzen hat dieses System wahrlich nichts zu tun.

Stress führt zum „fight or flight“ Zustand, einer biologischen Reaktion auf Angst und Druck. Dieser Zustand führt dazu, dass die körperlichen Ressourcen in Form der Blutzufuhr weg vom Kopf und der Körpermitte und hin zu den Extremitäten geleitet werden. Der Körper wird in die Lage versetzt, gut kämpfen oder fliehen zu können. Leider hilft das eher wenig bei einer Angst vor dem wirtschaftlichen Konkurrenten, vor dem Chef und einem möglichen Rauswurf oder vor dem Lehrer und schlechten Zensuren. Ganz im Gegenteil, es hemmt die kognitiven Fähigkeiten, das klare und innovative Denken und insbesondere eine gute Auffassungsgabe inklusive eines Lernprozesses. Durch den wirtschaftlichen, schulischen und letztlich gesellschaftlichen Druck fördert man im Endeffekt nur eines – Krankheit.

Der gewollte und erzeugte Stress in Arbeit und Schule wirkt sich nachhaltig destruktiv auf unsere Gesundheit aus. Burnout gilt als Volkskrankheit, genauso wie Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen. Darüber hinaus steht Stress im Verdacht, auch schwere Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Beschwerden und Krebs zu begünstigen.

Immer höhere Renditen und Gewinnausschüttungen bedürfen Kosteneinsparungen und mehr Output in der veranschlagten Arbeitszeit. Der Druck ist in fast allen Wirtschaftsbereichen spürbar und wird vom Vorgesetzten an seine Mitarbeiter weitergegeben.

Besonders perfide ist, dass Krankheit wiederum ein Geschäft darstellt. Das Gesundheitssystem ist ebenfalls ein Teil des Wirtschaftssystems. Die Pharmaindustrie macht Milliardengewinne mit mehr oder weniger wirksamen Medikamenten zu den genannten Krankheiten und Beschwerden. Die gesundheitlichen Folgen dieses leistungsorientierten Systems werden also wirtschaftlich lukrativ behandelt und sorgen dadurch für neue Umsätze und Gewinne. Ärzte, Psychologen und Krankenhäuser, Physiotherapeuten und Osteopathen, Kuranstalten und auch der gesamte alternative Gesundheitssektor profitieren von kranken Menschen.

Auch die Lebensmittelindustrie folgt den neoliberalen Gesetzen. Nahrung soll möglichst günstig und gewinnmaximierend hergestellt und verkauft werden. Importe aus Schwellenländern, da dort günstig produziert wird, betreffen fast alle Nahrungsmittel. Günstig heißt schlechte Arbeitsbedingungen und Einsatz von teilweise giftigen Pflanzenschutzmitteln. Aber auch die in der EU hergestellten Produkte werden mit Hilfe von Pestiziden der Chemieindustrie gegen Schädlinge geschützt. Diese finden sich dann in unserer Nahrung wieder.

Und erneut zeichnet sich der Teufelskreis ab:

Das Wirtschaftssystem begünstigt Krankheit, und Krankheit sorgt für eine gesteigerte Wirtschaftsleistung.

Alles hängt mit allem zusammen, und das macht Veränderung so schwer, aber umso notwendiger.

Wenn wir Kinder und Jugendliche ermutigen, auf ihre Bedürfnisse zu achten und Kooperation einer Konkurrenz vorzuziehen, lassen sie sich später vom Arbeitgeber eventuell nicht mehr so gängeln oder arbeiten mit ihren Kollegen gesundheitsförderlich zusammen. Vielleicht setzen sie die erworbenen Werte sogar in ihren eigenen Unternehmen um.

Wenn wir das Wirtschaftssystem hin zu einer Bedürfnisorientierung, Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit verändern, die Arbeitsbedingungen menschengerecht gestalten und allgemein den Druck und Stress reduzieren, fördern wir die Gesundheit der Menschen und entlasten das Gesundheitssystem.