Durch die Naturwissenschaften und ihre Fortschritte im Messen und Bewerten, wurde der Fokus immer weiter erhöht. In immer kleinere Teilchen wurde die Welt zerteilt. Sowohl in der Physik als auch in der Medizin sind wir inzwischen im Nanobereich angelangt.
So weit, so beeindruckend. Leider, so scheint es mir, ist dabei aber der Blick fürs große Ganze verloren gegangen. Das Ganze ist eben mehr als nur die Summe seiner Teile, wie bereits Aristoteles erkannte. Es ist also folgefalsch von den Erkenntnissen aus der Petrischale auf die Wirkungen einer Substanz oder eines Eingriffs auf einen komplexen Organismus zu schlussfolgern. Deswegen ist es so schwierig, Nebenwirkungen einer Impfung auszuschließen. Selbst Tierversuche helfen nur eingeschränkt dieses Problem einzudämmen. So manches Medikament kam gut durch die Tierversuche und war trotzdem schädlich für den Menschen. (vgl. https://www.peta.de/themen/tierversuche-medikamente/)
Auch in der Psychologie, der Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen, gibt es eine ähnliche Problematik. Aufgrund des reizvollen Messens bei Verhaltensstudien, wurde die Verhaltenspsychologie zum Renner der psychologischen Therapieformen. Die transparente und nachvollziehbare Überprüfung der Therapieanwendung verhalf der Verhaltenstherapie zum Aufstieg. Die Verhaltenstherapie fand ihren Weg aus der Lerntheorie heraus. Die Grundidee lautet: Alles, was gelernt werden kann, kann auch wieder verlernt werden. Verhalten lässt sich gut beobachten und dadurch messen. Das Erleben dagegen ist schwer zu greifen. Es ist ja immer nur subjektiv, wenn eine Versuchsperson ihr Erleben in einem Interview, einem Fragebogen oder ähnlichem mitteilt.
Ich finde die Idee problematisch die Gesundheit eines Menschen anhand seines Verhaltens beurteilen zu wollen – für mich ist tatsächlich der Beweggrund das entscheidende Merkmal und nicht die Handlung an sich.
Auch ist es aus meiner Sicht schwer zu sagen, wie erfolgreich eine Therapie tatsächlich war, wenn man nur von außen auf das Verhalten schaut. Das liegt aber natürlich an meiner Ausrichtung als Coach.
Ein Süchtiger, der seine Sucht im Griff hat, durch Kontrolle und Willenskraft, ist für mich nicht geheilt. Eine Magersüchtige, die plötzlich an Gewicht zulegt, weil sie jetzt Krafttraining betreibt, ist ebenfalls nicht geheilt. Oft hat sich die Kontrollsucht nur verlagert und sie trainiert jetzt genauso strikt, wie sie vorher Gewicht verloren hat. Der echte Grund für diesen Kontrollwahn ist weder gefunden noch behandelt worden.
Ich möchte hier keine Therapiemethode klein oder schlecht reden. Aber für mich wird es immer dann interessant, wenn man sich von den Dogmen einer Schule löst und im Sinne eines Patienten ganzheitlich arbeitet. Es sollte meiner Meinung nach immer der ganze Mensch mit seinen individuellen Eigenschaften im Fokus stehen. Diagnosen, Schubladen, vorgefertigte Behandlungsmethoden usw. lenken nur ab von dem wirklich wichtigen, dem Individuum. Natürlich weiß das jeder gute Therapeut und berücksichtigt dies bei seiner Arbeit. Auch die Verhaltenstherapie hat sich weiterentwickelt und bezieht nun ebenfalls stärker die Gedanken und Gefühle der Patienten mit ein.
Jeder Mensch ist ein komplexes Wesen, ein interagierender Organismus und nicht nur eine Chemikalie, die auf eine andere reagiert. In der Psychoneuroimmunologie geht es um die Auswirkung von psychischen Prozessen auf das Immunsystem. Die Erkenntnisse werden in einem extra Artikel vertieft dargestellt, aber so viel sei verraten: Sie sind bahnbrechend und finden kaum Anwendung. Ein Mensch in einer guten psychischen Verfassung hat auch ein widerstandsfähiges Immunsystem. Es gibt zahlreiche Wechselwirkungen zwischen der Psyche und dem Immunsystem.
Die Vorstellung, es wäre hilfreich Menschen Angst zu machen, sie in die soziale Abgeschiedenheit zu schicken und sie zu animieren möglichst wenig Körperkontakt zu haben, um einer Infektion vorzubeugen, kommt aus einer Logik, den Menschen als Maschine zu betrachten. Tatsächlich zeigen Forschungsergebnisse der Psychoneuroimmunologie, dass solche Maßnahmen genau das Gegenteil bewirken. Angst führt zu Stress und Stress bringt den Körper in einen Ausnahmezustand. Dieser Zustand sorgt dafür, dass mindestens mittelfristig seine Immunabwehr sinkt und auch die Regeneration gehemmt wird. Man wird also mit einer höheren Wahrscheinlichkeit und schlimmer krank.
Solange wir nicht ganzheitlich und interdisziplinär zusammenarbeiten, um uns für die Gesundheit der Menschen einzusetzen, können derartige problematische Entscheidungen getroffen werden und ziehen entsprechende Konsequenzen nach sich. Eine Triage bei der Aufnahme in Kinderpsychiatrien ist ein trauriges, aber greifbares Beispiel hierfür.
Meine Vision wäre eine offene Kommunikation – ein transparenter Diskurs auf Augenhöhe über die Fachbereiche und Berufsgruppen hinweg – um die besten Lösungen zum Wohle der Menschen zu finden.
Quellen
https://www.therapie.de/psyche/info/index/therapie/verhaltenstherapie/
https://www.therapie.de/psyche/info/fragen/wichtigste-fragen/unterschied-psychotherapeut-psychologe-psychiater/#c4881
https://www.ugb.de/gesundheitsfoerderung/psychoneuroimmunologie/
https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/510727/Pandemie-und-Einsamkeit-Auslastung-in-Jugend-Psychiatrien-explodiert