Um was geht es in der Schule, in der Bildung?

„Das Ziel: Kinder (Schüler) so auszubilden, dass sie als Erwachsene die Herausforderungen des Lebens meistern.“

Aber leistet das die Schule der Gegenwart? Das kann bezweifelt werden.

Gegenwärtiger Unterricht findet oft im 45-Minutentakt, im üblichen wahllos sortierten und zusammenhanglosen Fächerkanon, losgelöst von der Lebenswirklichkeit der Schüler, ohne eine empfundene Sinnhaftigkeit und mit einer abschließenden Prüfung des „erworbenen“ Wissens und der einhergehenden Bewertung durch Noten statt. Das ist Teil der „Grammar of Schooling“.

Prof. Anne Sliwka, Bildungsforscherin an der Universität Heidelberg, erläutert die sehr starre innere Struktur der Grammar of Schooling genauer. Es geht um eine ganz bestimmte zeitliche Taktung, Raumordnung, Prüfungs- und Lernkultur. Konkret geht es darum, sich Wissen anzueignen, oft über Lehrervorträge, sich Wissen zu merken, versuchen zu verstehen und dieses zu einem festgelegten Zeitpunkt, in einer festgelegten Gruppe und in einem festgelegten Raum gleichzeitig in einer Prüfungssituation wiederzugeben.

 

Das Wichtigste am Unterricht ist die kognitive Aktivierung. Das geschieht, wenn man selbst über die Dinge nachdenkt. Dadurch werden Synapsen im Gehirn gebildet und verstärkt. Diese sind für die Informationsweitergabe zuständig und für die Verankerung von Wissen verantwortlich.

Am Beispiel eines Chemieexperimentes heißt das: Wird einem von dem Experiment nur erzählt, bleibt am wenigsten hängen, besser wird es, wenn man das Experiment live sieht und am nachhaltigsten ist der Wissenserwerb, wenn das Experiment selbst durchgeführt wird.

Bilder, Geschichten oder Anekdoten können darüber hinaus helfen, Informationen langfristig zu behalten, genauso wenn Emotionen und echtes Interesse im Spiel sind.

 

Im Bildungsbereich spricht man von den 21st Century Skills. Skills, die helfen sollen, für die Zukunft des 21. Jahrhunderts fit zu sein. Die Rede ist von folgenden vier Kompetenzen, die bereits in den 1980er Jahren in den USA formuliert und von Andreas Schleicher, Bildungsdirektor der OECD, 2013 in Deutschland bekannt gemacht wurden:

  • Kreatives Denken, um innovative Lösungen für Probleme zu finden.
  • Kritisches Denken, um die eigene Realität zu reflektieren, zu analysieren und zu hinterfragen.
  • Kollaboratives Denken, um im Team Ideen und Lösungen zu erarbeiten.
  • Kommunikation, um Gedanken und Fehler mit anderen zu teilen, um zusammen daraus zu lernen.

 

Um dieses 4-K Modell zum Funktionieren zu bringen, müssen sich laut Prof. Sliwka fünf Dinge ändern:

  1. Zeit: Weg vom 45 Minuten Takt, hin zu 100 Minuten oder zu halben und ganzen Projekttagen. Diese müssen gut von den Lehrkräften vorbereitet sein.
  2. Raum: Die Raumstruktur muss viel flexibler sein. Eine offene Klassenzimmertür, die Nutzung der Korridore und größere Lernräume sind Teil der Flexibilisierung.
  3. Lehrkräfte: Weg vom Einzelkämpfer, hin zur Teamarbeit.
  4. Hybridisierung: Der physische Lernraum in der Schule wird ergänzt durch den digitalen Lernraum.
  5. Leistungsmessung: Weg von Klassenarbeiten, hin zu authentischeren Formen von Leistung.

 

Eine Schule ist imstande, die meisten Punkte direkt umzusetzen, wenn sie das wirklich will. Voraussetzung ist, laut der Schulleiterin Miriam Pech, vor allem eine gemeinsame Vision für die Inhalte und die Pädagogik. Dies geht nicht top down, also durch einen bestimmenden Schulleiter, sondern nur durch die Partizipation des Kollegiums und der Eltern. Auch um die Kollaboration den Schülern aktiv vorzuleben. Nachrangig sind die äußeren Gegebenheiten wie die räumliche Situation und die Versorgung mit Lehrkräften und Sozialpädagogen.

 

Prof. Sliwka ergänzt, dass es Schulleiter braucht, die bereit sind, die Regeln zu dehnen. Das rechtlich Zulässige muss maximal ausgeschöpft werden, an manchen Stellen sollten die aktuellen Grenzen sogar etwas verschoben werden, um zukünftige Pädagogik in die Gegenwart zu holen. Diese Schulleiter sollten echte Teamplayer sein.

 

Die PISA Studie der OECD versucht alle drei Jahre die Bildungserfolge der Mitgliedsstaaten zu messen, um sie zu vergleichen.

Finnland schneidet seit Jahren gut in der Studie ab. In Finnland hat jedes Kind jeder Schule das gesetzlich verankerte Recht, individuell unterstützt zu werden, falls es das benötigt. Dafür gibt es neben den Fachlehrern ein engmaschiges Betreuungsnetzwerk aus Sozialarbeitern, Psychologen, Pädagogen und Special Education Teacher, die die Schule durchstreifen, um die Schüler zu befragen, ob sie Hilfe brauchen.

 

Auch der World Happiness Report der Vereinten Nationen weist Finnland für die letzten vier Jahre den ersten Platz im Glücksranking zu.

Mehr Glück im Unterricht heißt besseres Lernen, weil alles, was das Wohlfühlen verhindert, nachweislich dafür sorgt, dass die kognitiven Fähigkeiten sich verschlechtern. Angst und Druck durch Abfragen und Leistungserhebungen und die Folgen daraus, sorgen für Stress im System. Der Körper reagiert auf Stress, indem er Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol ausschüttet. Er schaltet in den urinstinktiven Fight-or-Flight Modus, also das Vorbereiten und Begünstigen eines Kampfes oder einer Flucht. In diesem Zustand ist man nicht bereit, neue Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten. Lernblockaden, Blackouts und gesundheitliche Probleme können die Folge sein.

 

Der Sinn des Lernens geht manchmal im Schulalltag verloren. Ernst Fritz-Schubert ist ein ehemaliger Schulleiter und Initiator des Fritz-Schubert-Instituts. Dieses bietet Fortbildungen zum Glücksunterricht an und setzt sich für eine andere Haltung der Lehrkräfte ein. Sie sollen vom Fehlerfahnder zum Schatzsucher werden. Das bedeutet, dass der Fokus auf den bereits vollzogenen Lernerfolg gelegt wird, anstatt das noch nicht Gekonnte in den Vordergrund zu stellen.

Mehr Authentizität und mehr Mensch im Klassenraum würden dazu führen, dass ein Lernen von Mensch zu Mensch ermöglicht wird. Der Lehrer, der perfekt in seiner Rolle sein möchte, indem er alle Antworten hat, lässt keinen Spielraum für Fehler und daher für natürliches Lernen.

 

Gerade die Veränderungen, die durch Corona angestoßen wurden, könnten weitere Schritte in eine Pädagogik der Zukunft begünstigen. Sie sollten aber jetzt angegangen werden. Leider sind viele durch die Folgen von Corona erschöpft und haben keinen Sinn für Zukunftsvisionen.

 

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